Plausibilitätsverfahren
Gemäß § 106 d Abs. 1 SGB V prüfen die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen die Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung. Insbesondere wird geprüft, ob Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten die abgerechneten Leistungen persönlich, vollständig und bestimmungsgemäß erbracht haben. Werden hierbei Abrechnungsauffälligkeiten festgestellt, wird weiter geprüft, ob sich diese plausibel erklären lassen.
Eine solche Prüfung kann zum einen als Stichprobenprüfung durchgeführt werden: Für jedes Abrechnungsquartal werden z.B. zwei Prozent der Vertragsärzte nach einem Zufallsprinzip oder nach einer bestimmten Zielrichtung oder Zielgruppe ausgewählt. Weiterhin können Prüfungen auch aufgrund von Hinweisen oder aufgrund von Erkenntnissen aus Wirtschaftlichkeitsprüfungen erfolgen. Prüfungen können auch aufgrund von anonymen Anzeigen erfolgen, wenn diese so ausreichend und konkret sind, dass eine Implausibilität der Abrechnung gegeben ist.
Die in § 106d Abs. 2 SGB V geregelte Plausibilitätsprüfung erfasst sowohl die zeitbezogene als auch die patientenbezogene Plausibilitätsprüfung und stellt ein einheitliches, auf dasselbe Ziel gerichtetes Verfahren dar (SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 01.08.2022 - S 18 KA 52/16).
Im Rahmen der Prüfungen nach Zeitprofilen hat der Gesetzgeber u. a. bestimmt, dass der Gegenstand der arztbezogenen Plausibilitätsprüfung insbesondere der Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Vertragsarztes ist. Bei der Prüfung ist ein Zeitrahmen für das pro Tag höchstens abrechenbare Leistungsvolumen zugrunde zu legen; zusätzlich können Zeitrahmen für die in längeren Zeitperioden höchstens abrechenbaren Leistungsvolumina zugrunde gelegt werden, § 106d Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V. Maßgeblich dafür, wie viel Zeit Praxen für Behandlungen im Rahmen der Abrechnung angerechnet werden, sind die im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgeführten Prüfzeiten und die entsprechende Eignung für die dort genannten Leistungen. Dort ist geregelt, welche Prüfzeit jeder einzelnen Leistung zugrunde liegt und inwieweit diese der Tages- und/oder Quartalsprofilzeit zugeordnet werden kann. Diese Prüfzeiten gelten als Durchschnittszeiten bundeseinheitlich.
Auffälligkeiten liegen vor, wenn mindestens drei Tage im Quartal mit mehr als zwölf Stunden arbeitstäglicher Zeit bzw. mehr als 780 Stunden im Quartal bei Vertragsärzten und -psychotherapeuten und mehr als 156 Stunden im Quartalsprofil bei ermächtigten Ärzten und Psychotherapeuten abgerechnet wurden. Werden die Zeiten überschritten, führt das nicht per se zu einer Honorarberichtigung, sondern zu einer weitergehenden Prüfung der vertragsärztlichen Abrechnung. Die Beweislast für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung verlagert sich dann auf den Vertragsarzt bzw. -psychotherapeuten, womit sich seine Mitwirkungspflicht begründet. Bei der patientenbezogenen Prüfung erfolgt ein Abgleich der gemeinsamen Patienten von zwei oder mehreren Praxen. Hierbei wird jeweils das prozentuale Verhältnis identischer Patienten zur Gesamtfallzahl der jeweils geprüften Praxen errechnet. Es wird geprüft, ob sich die Anzahl an gemeinsamen Patienten im Rahmen der zulässigen Werte bewegt. Diese liegen bei fachgruppengleichen Praxen bei 20 % identischer Patienten und bei fachgruppenungleichen Praxen bei 30 % identischer Patienten. Überschreiten Praxen die Grenzwerte, erfolgen weitere Prüfungen, ob diese Überschreitungen dennoch plausibel sind. Erklärbar sind identische Patienten beispielsweise bei Ärzten, die eine Urlaubs- oder Krankheitsvertretung übernehmen, Vertretungen in Notfällen und Überweisungen zu speziellen Untersuchungen.
Die Feststellung einer Auffälligkeit in der Abrechnung bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle oberhalb der Auffälligkeitsgrenze liegenden Leistungen nicht vergütet werden oder dem Arzt überhaupt ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Überschreitungen der Grenzen indizieren lediglich Auffälligkeiten in der Abrechnung und begründen demnach zunächst nur einen „Anfangsverdacht“. Daher ist im Einzelfall zu prüfen, ob besondere Umstände den abgerechneten Zeitaufwand der Leistungen begründen und plausibel das Überschreiten des Zeitprofils rechtfertigen.
Hierbei hat der Arzt grundsätzlich die Möglichkeit nachzuweisen, dass sich das Überschreiten des Zeitprofils aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls erklären lässt. Um sich auf das Verfahren vernünftig vorzubereiten und den Kenntnisstand der KV abzuklären, sollte zunächst Akteneinsicht genommen werden.
Da honorarwirksame Begrenzungsregelungen bei der Schadensberechnung außen vor bleiben, kommt es bei einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung stets zu einem Honorarabzug. Neben der Honorarberichtigung/-rückforderung kann es bei nachgewiesener implausibler Abrechnung zu weiteren Verfahren kommen, die zum Teil zu weitreichenden Folgen für den Leistungserbringer führen können. Bestimmte Auffälligkeiten wie eine fehlende medizinische Notwendigkeit können zur Einleitung einer eigenständigen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 2, 12, 72 Abs. 2 SGB V führen. Es kann zu Disziplinarverfahren der KVen kommen. Weiterhin ist bei grober Pflichtverletzung ein Zulassungsentziehungsverfahren möglich. Weiterhin kann es auch zu einem Ermittlungsverfahren der zuständigen Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs des Abrechnungsbetruges kommen. Im Falle einer Verurteilung kann dann noch ein berufsgerichtliches Verfahren eingeleitet sowie im Rahmen eines Approbationsverfahrens das Ruhen oder der Widerruf der Approbation angeordnet werden.
Die Plausibilitätsprüfung findet zeitverzögert zur aktuellen Abrechnung statt. Der Arzt wird von der KV über die Auffälligkeiten informiert und um eine Stellungnahme gebeten. Da sich die Beweislast für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung bei einer Plausibilitätsprüfung auf den Vertragsarzt bzw. Vertragspsychotherapeuten verlagert, hat er eine Mitwirkungspflicht. Deshalb ist es sehr wichtig, dass der Aufforderung um eine Stellungnahme zu den zeitlichen Auffälligkeiten nachgekommen wird. Möglicherweise liegen beim betroffenen Arzt/Psychotherapeut besondere Fähigkeiten vor, sodass die Leistungen in kürzerer Zeit als der Durschnitt erbracht werden konnten, oder die Praxis ist aufgrund ihrer Arbeits- und Organisationsabläufe und der apparativen Ausstattung so strukturiert, dass mehr Leistungen als üblich erbracht werden können. Vorstehende Aspekte können zu einer Entlastung der Zeitprofile führen.
Gelingen vorstehende Nachweise, sind diese im Rahmen der Stellungnahme gegenüber der KV darzulegen und gegebenenfalls im Rahmen des sogenannten Plausibilitätsgesprächs näher zu erläutern und zu beweisen. Die KV muss sich mit diesen Angaben auseinandersetzen und darf keine pauschale Kürzung allein aufgrund der Zeitüberschreitungen vornehmen. Sollten hingegen vorstehende Nachweise nicht gelingen, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob auf den Abschluss eines Vergleichs mit der KV hingewirkt oder gegen den Honorarberichtigungsbescheid ein Rechtsbehelf eingelegt werden sollte.