Nachbesetzungsverfahren
Wenn Sie Ihre Vertragsarztpraxis/Psychotherapeutenpraxis, bzw. Ihren Vertragsarztsitz/Psychotherapeutenvertragssitz in einem überversorgten Planungsbereich wirtschaftlich verwerten möchten, dann müssen Sie in der Regel ein Nachbesetzungsverfahren durchführen lassen.
Das Nachbesetzungsverfahren spielt nur in überversorgten Gebieten eine entscheidende Rolle. In allen anderen Planungsbereichen erhalten Ärzte und Psychotherapeuten auf ihren Antrag beim Zulassungsausschuss in der Regel unproblematisch die Zulassung zur vertragsärztlichen oder vertragspsychotherapeutischen Versorgung.
Das Nachbesetzungsverfahren wird gemäß § 103 Absatz 3a, 4 SGB V auf Antrag des Vertragsarztes/Vertragspsychotherapeuten eingeleitet.
Vor der Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens hat der Praxisabgeber zu erklären, auf den vertragsärztlichen/psychotherapeutischen Versorgungsauftrag zum geplanten Übergabedatum zu verzichten. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass die Fallzahlen vor der Abgabe der Praxis nicht sinken.
Praxisabgebenden Vertragsärzten/Vertragspsychotherapeuten, die in den letzten Jahren den Umfang ihrer Tätigkeit bereits reduziert haben, droht die Ablehnung des Antrags, wenn ihre Fallzahlen den Durchschnitt der Fachgruppe um mehr als die Hälfte unterschreiten. Werden die durchschnittlichen Fallzahlen bereits um die Hälfte unterschritten, empfiehlt es sich, die Fallzahlen rechtzeitig vor der Praxisabgabe entsprechend zu steigern.
Bei nachvollziehbaren Gründen für die niedrigen Fallzahlen, beispielsweise durch eine längere Erkrankung, sollten diese vorgetragen und belegt werden. Regelmäßig kann davon ausgegangen werden, dass ab einem Zeitraum von mehr als einem Jahr ab der Einstellung der ärztlichen Tätigkeit die Nachbesetzung aus Versorgungsgründen nicht mehr erforderlich ist und der Antrag abgelehnt wird. Sofern ein erkrankter Vertragsarzt/ Psychotherapeut absehen kann, dass keine Genesung eintreten wird und er seine Tätigkeit nicht wiederaufnehmen kann, sollte er sich schnellstmöglich um eine Praxisnachfolge bemühen.
Ferner ist darauf zu achten, dass der Verzicht unter der Bedingung erklärt wird, dass eine Nachfolge für die Praxis zugelassen wird.
Hat der Zulassungsausschuss den Antrag aus Versorgungsgründen abgelehnt, hat die Kassenärztliche Vereinigung dem Vertragsarzt/Vertragspsychotherapeuten oder seinen berechtigten Erben eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis/Psychotherapeutenpraxis zu zahlen.
Die Entschädigungshöhe richtet sich nach dem Verkehrswert der Praxis, der bei dessen Fortführung maßgeblich wäre und umfasst damit die Praxis als Ganze. Die Ermittlung erfolgt anhand des Ertragswertverfahrens. In der Entschädigung sind auch Folgeschäden zu berücksichtigen. Solche sind etwa langlaufende Mietvertragsverbindlichkeiten, die aufgrund des fehlenden Nachfolgers nicht weitergegeben werden können. Der Arzt/Psychotherapeut ist hier aber zur Schadensminderung verpflichtet. Das heißt er muss alles ihm Zumutbare unternehmen, um den Schaden so gering wie möglich zu halten, z.B. zu versuchen, einen Nachmieter zu finden.
In bestimmten Fällen ist die Erteilung einer Genehmigung zur Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens zwingend vorgeschrieben.
Folgende Bedingungen begründen eine zwingende Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens:
- Die Praxis soll von einem Ehegatten, Lebenspartner oder einem Kind des bisherigen Vertragsarztes fortgeführt werden.
- Der Nachfolger ist ein Angestellter des bisherigen Vertragsarztes oder ein Mitgesellschafter der Gemeinschaftspraxis, mit dem das Angestelltenverhältnis oder der gemeinsame Betrieb der Praxis mindestens drei Jahre lang angedauert hat.
- Der Praxisnachfolger verpflichtet sich, die Praxis in ein anderes Gebiet des Planungsbereichs zu verlegen, in dem nach Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund einer zu geringen Ärztedichte ein Versorgungsbedarf besteht.
- Ein weiterer Fall zwingender Nachbesetzung liegt vor, wenn der Nachfolger zuvor mindestens 5 Jahre in einem unterversorgten Gebiet arbeitete und diese Tätigkeit nach Inkrafttreten des Versorgungsstärkungsgesetzes erstmalig aufgenommen hat. Vertragsärzte, die bereits in einem unterversorgten Gebieten zugelassen sind und sich um einen Sitz im überversorgten Gebiet bewerben, werden nur bei der Auswahlentscheidung privilegiert berücksichtigt. Sie können aber nicht für sich beanspruchen, zwingend ein Nachbesetzungsverfahren durchzuführen.
Entspricht der Zulassungsausschuss dem Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens, hat die zuständige Kassenärztliche Vereinigung den Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgesehenen Blättern unverzüglich auszuschreiben und eine Bewerberliste zu erstellen. In Hessen erfolgen die Ausschreibungen der Vertragsarztsitze über die Website der KVH. Darauf kann sich jeder interessierte Arzt/Psychotherapeut bewerben. Dies gilt auch für Vertragsärzte und zugelassene Medizinische Versorgungszentren/MVZ, welche den ausgeschriebenen Praxissitz übernehmen und durch einen in ihrer Praxis/im MVZ anzustellenden Arzt fortführen wollen. Steht in diesem Zusammenhang eine Verlegung des Versorgungsauftrages an einen neuen Standort an, hat der Zulassungsausschuss auch zu prüfen, ob der Verlegung des Vertragsarztsitzes gegebenenfalls Gründe der vertragsärztlichen Versorgung entgegenstehen.
Bewirbt sich nur eine Bewerberin (gewünschte Nachfolgerin) auf den ausgeschriebenen Vertragsarztsitz/Psychotherapeutensitz und erfüllt diese die fachlichen Voraussetzungen, wird sie als Praxisnachfolgerin zugelassen. Einer Auswahlentscheidung bedarf es dann nicht. Wenn nach Ablauf der Bewerbungsfrist mehrere Bewerbungen für die ausgeschriebene Praxis vorliegen, richtet sich die Auswahl des Praxisnachfolgers nach § 103 Abs. IV S. 4 ff. sowie Abs. V S. 3 SGB V. Der Zulassungsausschuss hat dann unter mehreren Bewerbern, die die ausgeschriebene Praxis als Nachfolger des bisherigen Vertragsarztes/Vertrags-psychotherapeuten fortführen wollen, den Nachfolger nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen. Bei der Auswahl der Bewerber sind gem. § 103 Abs. IV S. 5 SGB V die berufliche Eignung, das Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen bzw. psychotherapeutischen Tätigkeit zu berücksichtigen. Zusätzlich bestimmt § 103 Abs. V S. 3 SGB V, dass bei der Auswahl der Bewerber für die Übernahme einer Vertragsarztpraxis/Vertragspsychotherapeutenpraxis nach Absatz IV die Dauer der Eintragung in die Warteliste zu berücksichtigen ist. Diese Kriterien sind mit Blick auf jeden einzelnen Bewerber zueinander in Bezug zu setzen und für den Einzelfall zu gewichten. Feste Gewichte haben die einzelnen Kriterien nicht, es ist eine wertende Gesamtschau mit Blick auf die Besonderheiten der zur Nachfolge anstehenden Praxis vorzunehmen. In diesem Zusammenhang darf der ZA auch weitere ungeschrieben Kriterien berücksichtigen. Die berufliche Eignung beurteilt sich nach der erworbenen Qualifikation nach der Weiterbildungsordnung. Ist ein Bewerber bereits mehr als fünf Jahre als Facharzt tätig, so wirkt sich dies als begünstigendes Kriterium der Dauer der ärztlichen Tätigkeit nicht mehr aus.
Dass der Praxisabgeber mit einem Bewerber bereits einen Praxiskaufvertrag geschlossen hat, hat auf die Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses grundsätzlich keinen Einfluss. Praxisabgeber hat keinen Anspruch darauf, dass seine bevorzugte Nachfolgerin auch vom Zulassungsausschuss als Praxisnachfolgerin ausgewählt wird. Durch eine rechtzeitige Planung der Praxisübergabe mit dem Wunschnachfolger, z. B. über die Gründung einer dreijährigen Gemeinschaftspraxis oder über eine dreijährige Angestelltentätigkeit in der Praxis kann der Ausgang des Nachbesetzungsverfahren entscheidend beeinflusst werden.
Wenn sich der Praxisabgeber mit seinem Wunschnachfolger geeinigt hat, ist es daher ratsam, zu möglichen Mitbewerbern rechtzeitig vor der Sitzung des ZA persönlich Kontakt aufzunehmen und diese, unter Verweis auf die Einigung mit dem ausgewählten Kandidaten, zu bitten, ihre Bewerbung im Nachbesetzungsverfahren zurückzunehmen. Eine Pflicht zur Rücknahme der Bewerbung besteht aber nicht. Dies gilt auch nicht, wenn sich der Vertragsarzt/Vertragspsychotherapeut weigert, mit einer Bewerberin einen Praxiskaufvertrag zu schließen.
Sollte der ZA eine andere Bewerberin statt den Wunschkandidaten in der Auswahl berücksichtigen, kann das Verfahren durch Rücknahme der Ausschreibung beendet werden. Dieser Schritt sollte jedoch wohlüberlegt werden. Der ZA kann einen neuen Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nach einer Antragsrücknahme ablehnen, wenn die Antragsrücknahme rechtsmissbräuchlich erscheint, um in unzulässiger Weise auf das Nachbesetzungsverfahren einzuwirken.
Sollte sich eine Bewerberin zu Unrecht übergangen fühlen, kann gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses Widerspruches eingelegte werden. Der Widerspruch ist binnen eines Monats zu erheben. Über den Widerspruch entscheidet der Berufungsausschuss. Der Berufungsausschuss ermittelt sämtliche Tatsachen neu und trifft eine eigene unabhängige Entscheidung. Gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses ist der Klageweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
Das Klageverfahren kann sich unter Umständen bis in die dritte Instanz hinziehen. Bis dahin ist die Entscheidung des Zulassungsausschusses nicht rechtskräftig und damit auch nicht vollziehbar.
D. h., bis zur letztinstanzlichen Entscheidung kann der Bewerber, der die Zulassung zugesprochen bekommen hat, seine Tätigkeit nicht aufnehmen.
Um dies zu verhindern, besteht die Möglichkeit, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses feststellen zu lassen.
Wie den voranstehenden Ausführungen entnommen werden kann, sind bei Veräußerung von Vertragsarztpraxen (früher Kassenarztpraxis) bzw. Psychotherapeutenpraxen zivilrechtliche und sozialrechtliche Bestimmungen wechselseitig in Einklang zu bringen, sodass eine bedachte Vorbereitung auf das Nachbesetzungsverfahren und insbesondere sorgfältige Vertragsgestaltung unerlässlich sind.